Saarbrücker Zeitung, 1.02.2000

Auch bei langsamen Schülern sind Programme nie genervt

Der Computer ist eine Chance für lebensbegleitendes Lernen - Deutschland hat deutlichen Rückstand gegenüber USA - SZ-Serie zur Weiterbildung im Internet, Teil 2

- Von JÖRG WINGERTSZAHN -

Lernen im 21. Jahrhundert heißt für viele: Lernen im Netz. Experten sagen voraus, dass sich die Bildungslandschaft durch Neue Medien und Internet schon in den nächsten zehn Jahren radikal verändern wird. Wir untersuchen in einer vierteiligen Serie, welche Weiterbildungsmöglichkeiten das Internet heute schon bietet.

"Ich erwarte eine Wissens- und Informationsgesellschaft. Das ist die Vision einer Gesellschaft, die jedem die Chance einräumt, an der Wissensrevolution unserer Zeit teilzuhaben. Das heißt: bereit zum lebenslangen Lernen zu sein, den Willen zu haben, im weltweiten Wettbewerb um Wissen in der ersten Liga mitzuspielen." Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat in seiner sehr beachteten "Berliner Rede" vom April 1997 den Weg vorgegeben, den es in Zukunft zu beschreiten gilt. Lebenslanges Lernen wird nach Ansicht von Experten die Antwort auf die Herausforderungen des internationalen Wettbewerbs sein.

Das Internet hat und wird in Zukunft dazu beitragen, dass sich dieser Wettbewerb noch verschärfen wird. Unternehmen konkurrieren nicht mehr mit Firmen auf regionaler oder nationaler Ebene, sondern weltweit: Die boomende indische Software-Industrie ist nur ein Beispiel für die Konkurrenz aus dem Netz. Gleichzeitig bietet aber gerade das Internet in Verbindung mit CD-Roms und Computer-Animationen die Chance, dieser Herausforderung zu begegnen. Weiterbildung per Mausklick heißt die neue Devise für Bildungshungrige. Die Vorteile dieser Lernmethode erklärt Benedikt Klein, Diplom-Psychologe an der Universität des Saarlandes, der zurzeit über das Thema "Didaktisches Design hypermedialer Lernsysteme" promoviert: "Untersuchungen haben ergeben, dass sich die Lernzeit durch den Einsatz von Lernprogrammen am Computer verringern lässt." Der Effekt ist besonders hoch bei Grund- und Sonderschülern. Die kommen vielleicht im normalen Unterricht nicht mit, mit Hilfe von Lernprogrammen können sie aber ihr Tempo selbst bestimmen. Außerdem haben Software und Computer noch einen weiteren Vorteil: Die Rückmeldung ist wertfrei. Klein: "Der Computer sagt nicht: Du bist zu dumm, oder du kannst das ja immer noch nicht." Auch wenn der Schüler beim zehnten Mal noch denselben Fehler macht, ist bei einem Computer kein Wutausbruch zu befürchten, das Programm ist nicht genervt.

Die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen hat aber nicht jeder. Sich von Lehrern oder Professoren berieseln zu lassen, ist eben immer noch einfacher, als sich selbst etwas zu erarbeiten. Damit Lernen erfolgreich ist, müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein: Was in der Schule oder Hochschule vorgegeben ist, muss der Selbstlerner eigenständig entscheiden, zum Beispiel, wann und wie lange er lernen will, an welchem Ort oder welche Lernstrategie er anwenden will. Klein: "Man darf das nicht unterschätzen, das sind Fähigkeiten, die nicht jeder hat."

Benedikt Klein hat selbst ein multimediales Lernprogramm für Studenten zur Einführung in die Kognitive Psychologie geschrieben. Entscheidend ist seiner Meinung nach, dass es eine Wechselbeziehung zwischen Lerner und Programm gibt. Der Student liest nicht nur, er hat die Möglichkeit, Fragen zu beantworten und kann so den Lerneffekt überprüfen. Komplexere Sachverhalte können zudem mit Hilfe von Animationen veranschaulicht werden.

Gerade für Fragen zu den Lerntexten sind viele Schüler und Studenten "sehr dankbar", so Klein. Wichtig ist, dass die Fragen vom Programm automatisch korrigiert werden und die Lernenden so eine Rückmeldung über ihren Lernerfolg erhalten. Wenn Fragen auftauchen, die das Computerprogramm nicht beantworten kann, wird es für den Lerner allerdings frustrierend. Daher müssen sinnvolle Lernprogramme nach Ansicht von Klein immer mit einer E-Mail-Funktion ausgestattet sein, die dem Lernenden erlauben, mit einem Betreuer Kontakt aufzunehmen, der die offen gebliebenen Fragen beantworten kann. Und das möglichst innerhalb von 24 Stunden. Klein: "Denkbar ist aber auch, dass man einmal täglich einen Chat-Raum einrichtet, wo Lehrer und Schüler sich über E-Mail unterhalten. So kann man die Mitlernenden in Probleme einbinden und zusätzliche Meinungen erfahren."

Eine qualifizierte Weiterbildung im Internet kann allerdings ganz schön teuer werden. Unter Umständen kostet ein Semester bis zu 5000 Mark, Preise, die an die Studiengebühren für US-amerikanische Elite-Universitäten erinnern. Wer ist bereit, so viel zu zahlen? Klein: "Der Zwang zum lebenslangen Lernen wird nach Ansicht von Experten immer größer. Denjenigen, die einen qualifizierten Job bekommen oder behalten wollen, bleibt früher oder später nichts anderes übrig, als sich weiterzubilden. Das ist eine Investition in die Zukunft."

Die USA sind in dieser Hinsicht schon etwas weiter. Vielleicht, weil die Bereitschaft, sich weiterzubilden, eher eingesehen wird als in Europa? Klein: "Viele Amerikaner sagen sich, ich muss etwas tun, damit mein Marktwert erhalten bleibt, und sind gegenüber Weiterbildungen sehr aufgeschlossen." Zudem ist es das erklärte Ziel der US-Regierung unter Bill Clinton, jeden Amerikaner möglichst zu Ortstarifen ins Internet zu bringen. Klein schätzt den Vorsprung der Amerikaner in Sachen Internet-Bildung derzeit auf acht bis zehn Jahre. Deutschland hat also noch einiges aufzuholen. Bleibt zu hoffen, dass mit der Liberalisierung des Telefonmarktes und niedrigeren Telefonkosten das Internet in Zukunft für jeden Weiterbildungswilligen noch attraktiver wird. Roman Herzog hat mit seiner Initiative jedenfalls dazu beigetragen, dass das Thema Bildung wieder ganz oben auf der Tagesordnung der Politik steht. Vielleicht setzt sich im Laufe der Bildungsdiskussion ja dann auch ein Begriff durch, der weniger nach Kerker-Haft klingt als "Lebenslanges Lernen". Lebensbegleitendes Lernen würde auch reichen.

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